Eine Mittelaltertasche - Nähanleitung

Als Lederer zu Vingólf besteht eine meiner Aufgaben in der Ausstattung meiner Sippe mit passenden Mittelalter Accessoires. Dazu gehört für jeden eine Tasche in der er oder sie auf den Märkten die modernen, persönlichen Dinge, die wir heutzutage so mit uns herumschleppen, verstauen kann. In diesem Artikel möchte ich zeigen wie ich eine solche Tasche herstelle. Ich wünsche viel Vergnügen beim Lesen und nachmachen...

Projekt: Mittelaltertasche, Korpus zweilagig, mit Gürtelschlaufen und Vorrichtung für Schulterriemen, sowie Innentasche

Materialkosten: ca. 10 €

Schwierigkeitsgrad: gehoben bis schwer

Zeitaufwand: Die hier gezeigte Tasche ist in gut acht Stunden entstanden, aber ich habe auch schon ein gutes Dutzend dieser Taschen hergestellt. Für den ersten Versuch sollte man auf jeden Fall ein eineinhalbfaches Tagwerk einplanen.

Zur besseren Verdeutlichung können alle folgenden Bilder durch Anklicken vergrößert werden.

Strukturiertes Arbeiten ist Pflicht

Als Kind habe ich viel Lego gebaut. Tatsächlich hilft mir das heute bei der Herstellung meiner Mittelalterprodukte. Die Tasche, um die es hier geht, besteht aus insgesamt 17 Teilen die in der richtigen Reihenfolge zusammengenäht / geklebt werden müssen, damit am Ende auch wirklich nur die Nähte und Teile zu sehen sind, die sichtbar sein sollen.

Bei Lego werden größere Bauwerke in den Anleitungen auf einzelne Baugruppen aufgeteilt und zum Schluss nur noch Baugruppen zusammengesetzt. Wir werden das genauso machen.

Die Innentasche

Beginnen werden wir mit der Innentasche. Diese machen wir nicht aus Leder, sondern aus Stoff. Leder wäre hierfür zu steif. Ich muss an dieser Stelle zugeben: Die Innentasche war ursprünglich nicht vorgesehen. Sie dient vielmehr der Stabilität der Tasche. Meine ersten Taschen waren Gürteltaschen, die nur die Gürtelschlaufen am Taschenrücken hatten. Sie behielten ihre Form am Gürtel von alleine. Doch dann nähte ich die erste Tasche für eine Dame und die musste natürlich einen Schulterriemen haben *grumpf - hab Dich trotzdem lieb Mami ;-). Der Schulterriemen wird an den Seitenteilen der Tasche befestigt und wie ich feststellte, zog er die Seitenteile auseinander, die Tasche wurde in die Breite gezogen und das Deckelteil passte nicht mehr. Irgendwie musste das verhindert werden. Im ersten Versuch klebte ich ein Skelett aus Dicklederstreifen an den Rändern der Tasche ein. Diese lösten sich aber immer wieder und sahen obendrein nicht besonders ansprechend aus. So entstand die Idee "etwas" mittig zwischen die Seitenteile zu nähen, damit sich diese nicht mehr nach Außen wölben können.

Ich verwende hier einen braunen Leinenstoff, ein Reststück das vom Nähen meines Halbkreismantels noch übrig blieb. Wir schneiden ein Rechteck mit einer Größe von 21 x 35cm zu, falten die fransigen Ränder nach Innen und vernähen sie. Anschließend wird das Stück einmal gefaltet, sodass ein Rechteck mit ca. (je nachdem wie ihr eure Nahtzugabe bemessen habt) 20 x 17cm entsteht. Wichtig sind dabei nur die 20cm Breite, weil das auch später unsere Taschenbreite wird. Wir setzen links und rechts Nähte und erkennen zum ersten mal eine Taschenform. Nun nähen wir etwa mittig mit einem Abstand von 3cm vom offenen Taschenrand ein Knopfloch ein, legen den oberen Rand auf einer Breite von 2cm nach außen um und nähen einmal knapp am Rand entlang. Es entsteht ein Tunnel, in den wir später ein Lederband einziehen und so die tatsächliche Breite der Innentasche einstellen können. Nun müssen wir sie nur noch auf rechts drehen, das Band einziehen und schon ist die Innentasche fertig.

Redaktionelle Anmerkung: Für eine Tasche in A-Lager-Qualität müsste die Innentasche natürlich mit der Hand genäht werden. Da dieser Taschenentwurf aber von mir persönlich ist und es keine historische Vorlage dafür gibt, reicht mir am Ende der mittelalterliche Look und ich erlaube mir eine gewisse Faulheit.

Der Taschenverschluss

Als Taschenverschluss habe ich eine Hornspitze ausgesucht, die mit einem Lederband an der Tasche gegen Verlieren gesichert werden soll. Dazu müssen in die Hornspitze zwei Bohrungen. Die Erste, mit einem Durchmesser von 8mm, schafft Platz für das Schnurende innerhalb der Hornspitze. Eine Bohrtiefe von 1cm reicht hier völlig aus. Die zweite Bohrung stellt den Kanal dar, durch den die Lederschnur von der Hornspitze zur Tasche führt. Diese Bohrung führt von der Seite der Hornspitze in das große Loch und sollte vom Durchmesser her etwas größer ausfallen, als die Schnur die wir verwenden wollen. In meinem Fall nehme ich eine 2 mm Schnur und eine 3mm Bohrung.

Zuschnitt der Lederteile

Da wir den Taschenkorpus zweilagig ausführen - dies gibt der Tasche später eine bessere Stabilität - brauchen wir nun insgesamt 11 unterschiedliche Lederteile. Diese sind:

  • 1 x Taschenkorpus (außen): Rechteck; 20 x 30cm
  • 1 x Taschenkorpus (innen): Rechteck; 19 x 29,5cm
  • 1 x Deckelteil: Rechteck; 20 x 18cm
  • 1 x Applikation als optischer Hingucker für den Deckel (beliebige Form und Größe)
  • 2 x Seitenteil (außen): halbes Oval; Länge der Rundung: 30cm; Länge der Geraden: 8cm
  • 2 x Seitenteil (innen): halbes Oval; in der geraden Linie bündig mit dem Außenteil gehalten, müssen im Bereich der Rundung die inneren Teile 5mm kleiner sein als die Außenteile.
  • 2 x Gürtelschlaufe: Rechteck; 10 x 2cm
  • 1 x Verschlussgegenstück: Rechteck; 8 x 2cm

Dem aufmerksamen Leser wird an dieser Liste bereits aufgefallen sein, dass die Rundung der Halbovale der Außenseitenteile exakt genauso lang ist, wie der äußere Korpuszuschnitt. Das ist gaaanz wichtig!

Nach dem Zuschnitt müssen die Lederteile, die verklebt werden sollen noch angeschliffen werden, sofern es sich nicht um Wildleder handelt. An dieser Stelle mal ein Wort zu dem von mir verwendeten Leder. Es handelt sich natürlich um echtes Leder, genauer gesagt: Lederreste aus der Polstermöbelproduktion, die bei eBay Kiloweise, für relativ kleines Geld gehandelt werden. Diese Leder haben immer eine glatte und eine Wildlederseite und sind somit sehr flexibel einsetzbar. Allerdings sind sie nur etwa 1 - 1,5mm dick und dadurch relativ instabil. Aus diesem Grund machen wir den Korpus der Tasche zweilagig.

Da man bei meiner Tasche die Wildlederseite sehen soll, muss ich die glatten Seiten der beiden Korpusteile und der vier Seitenteile anschleifen. Dies erledige ich mit einem Schleifpapier mit 60er Körnung. Es geht dabei darum den Untergrund für die spätere Verklebung aufnahmefähig zu machen.

Hier der Werdegang in Bildern:

Baugruppen fertigstellen

Nun können wir auch schon damit beginnen die ersten Teile zusammenzunähen. Als erstes verbinde ich die inneren Seitenteile mittig, mit einer Sattlernaht, mit den Außenseiten der Innentasche.

Anschließend nähe ich D-Ringe aus Messing, an denen später bei Bedarf der Schulterriemen befestigt werden kann, an die äußeren Seitenteile.

Nun muss man zum ersten mal aufpassen!

Es geht an die Fertigstellung des äußeren Taschenkorpus. An diesem Teil müssen die Gürtelschlaufen auf der Hinterseite und das Verschlussgegenstück auf der Vorderseite angebracht werden. Dazu muss man sich im geistigen Auge anschauen wie die Tasche später aufgebaut wird. Der Korpus bildet, von der Seite angeschaut ein "U", das bedeutet beide Enden des Rechtecks sind später oben.

Bei den Gürtelschlaufen ist es schnuppe wieherum man sie anbringt, aber das Verschlussgegenstück muss ja so angebracht sein, dass die konisch zulaufende Hornspitze später von oben eingesteckt werden kann. Die Öffnung des Verschlussgegenstücks muss also oben größer sein als unten. Wenn man das Rechteck aber glatt vor sich auf den Tisch legt und dummer Weise die Gürtelschlaufen oben sind, ist das untere Ende ja später trotzdem auch oben. Das Verschlussgegenstück muss dann also andersherum angebracht werden.

Zwei Tipps zu diesem Arbeitsschritt:

  1. Ich nähe das dünne Leder meist ohne die Löcher vorzustechen - ist mir zu viel Arbeit. Beim Annähen dieser Kleinteile mache ich mir die Arbeit aber, damit später alles wirklich grade sitzt.
  2. Beim Verschlussgegenstück macht es Sinn, die Hornspitze auf dem Werkstück zu platzieren um die richtige Position für das Lederteil zu bestimmten. Auf jeden Fall muss das Gegenstück in einem Abstand von 8cm zum oberen Taschenrand angebracht werden, damit der Verschluss später mittig in der Applikation des Deckelteils sitzt.

Zu guter Letzt wird die Applikation ebenfalls mit einer Sattlernaht am Taschendeckel befestigt. Das Deckelteil ist übrigens das Einzige, bei dem wir die Fadenenden vom Nähen sauber abschneiden und am besten mit einem Tropfen Sekundenkleber sichern müssen. Die Fadenenden aller anderen Teile verschwinden beim nächsten Schritt ganz automatisch, wenn wir darauf achten, dass alle Fadenenden auf den Seiten austreten, die gleich verklebt werden.

Verkleben

Phu... schon ganz schön anstrengend bis hier hin. Zum Glück fehlt nur noch ein Schritt, bis ich mir eine wohlverdiente Mittagspause gönne.

Gemeint ist das Verkleben der Innen- und Außenteile des Korpus und zwar so, dass wir beim Zusammennähen der Baugruppen immer nur zwei Lagen Leder durchstechen müssen - also bei den Seitenteilen die geraden Kanten bündig und beim Korpus muss nach dem Kleben links und rechts, sowie an der Rückseite die "Nahtzugabe" herausschauen.

Klingt einfach, ist es aber nicht!

Zum Verkleben nutze ich Schusterleim, ein sogenannter "Kontaktkleber". Die Erfahrung hat gezeigt, dass hier kein normaler Kleber langfristig durchhält.

Das Problem bei Kontaktklebern ist, hat man die Klebeflächen einmal aufeinander gelegt ist eine Korrektur der Position praktisch unmöglich, aber der Reihe nach:

Zuerst werden beide Klebeflächen dünn mit Schusterleim eingestrichen. Anschließend lässt man sie ablüften, sprich antrocknen und zwar so lange, bis man die Klebefläche mit dem Finger berühren kann, ohne kleben zu bleiben. Erst jetzt legt man beide Flächen aufeinander und stellt fest: plötzlich kleben sie sehr wohl wieder, und zwar wie Hölle! Trotzdem muss man die Flächen nun auch noch mit einander verpressen - ich tue das mit einem Holzhammer, man kann auch einen harten Gummihammer dafür nehmen. Wichtig ist jedenfalls, dass man den geklebten Bereichen möglichst vollflächig, vor allem natürlich im Bereich der Ränder, ein paar ordentliche Klopfer verpasst.

Anschließend lasse ich das Ganze 1 bis 2 Stunden liegen und trocknen.

Redaktionelle Anmerkung: An Stelle des Schusterleimes würde ich für ein A-Lager-Produkt Knochenleim verwenden. Diesen gibt es auch heute noch zu kaufen, da er sich im Kunsthandwerk wieder großer Beliebtheit erfreut. Man bekommt ihn in Tablettenform oder am Stück. Für die Verarbeitung muss er aber erst 1:1 mit Wasser versetzt werden. Dann lässt man ihn quellen und muss die geleeartige Masse anschließend auf min. 55°C (sonst klebt sie nur schwach), max. aber 64°C (sonst klebt sie gar nicht mehr!) erwärmen. Für diese Tasche ist mir das zu aufwändig.

Fast geschafft...

Frisch gestärkt geht es nun an die letzte, echte Herausforderung bei meiner Mittelaltertasche. Wir setzen sie endlich zusammen. Dazu müssen wir zunächst die Seitenteile mit dem Korpusstück verbinden. Wir "wickeln" das Korpusteil um die Innentasche und erkennen - wenn wir denn alles richtig gemacht haben - dass die Überstände oder Nahtzugaben von Korpus und Seitenteilen geradezu danach schreien mit einander vernäht zu werden. Tun wir ihnen doch diesen Gefallen!

Die Kunst besteht darin die Nähte links und rechts absolut gleichmäßig auszuführen und keines der Teile an irgendeiner Stelle zu arg zu dehnen oder zu stauchen. Das ist schwerer als es sich anhört, da wir ja jeweils eine 180° Kurve nähen müssen. Ich mache das, indem ich das Korpusteil flach auf meinen Arbeitsplatz auflege und die Seitenteile dann Stich für Stich in die richtige Position hebe, drehe, schiebe, oder welche Bewegung dafür auch immer notwendig ist. Auf jeden Fall versuche ich das immer "schonend" hinzukriegen und großartigen Zug oder Druck zu vermeiden.

Zum Vernähen nutze ich hierbei einen Überwendling. Anders als der Sattlerstich erhält der Überwendling eine gewisse Flexibilität und verzeiht dadurch kleine Fehler in der Dehnung der Lederstücke.

Trotzdem müsst ihr euch hierfür wirklich Zeit nehmen und das sehr akkurat machen. Achtet auch darauf eure Nahtrichtung spiegelverkehrt anzuordnen. Immerhin reden wir hier über sichtbare Nähte. Bei gleicher Anordnung würden bei einem Blick von vorne auf die fertige Tasche die Stiche beispielsweise auf beiden Seiten von links unten nach rechts oben laufen. Deutlich schöner finde ich es, wenn die Stiche beidseitig vom Tascheninneren nach außen runter- oder rauflaufen.

Wenn ihr alles richtig gemacht habt geht der Schnitt genau auf, dass heißt die Länge der Korpusbaugruppe reicht genau um die Rundung der Seitenteile zu bedecken (siehe oben: Länge der Rundung des Seitenteils = Länge des Korpusteils = 30cm). Wenn nicht, habt ihr entweder ein Teil falsch zugeschnitten oder irgendwo ein Lederteil beim Nähen zu sehr gestaucht oder gedehnt und müsst die entsprechende Naht leider wieder auftrennen.

Wenn der Korpus aber fertig ist, fehlt nur noch eine letzte Naht. Das Deckelteil wird an den hinteren Rand des Korpus genäht und zwar Außenseite auf Außenseite. Anschließend können wir den Deckel nach vorne klappen und ein letztes mal Maßnehmen, bevor wir das Loch in den Deckel schneiden, in dass das Verschlussgegenstück greifen soll um die Hornspitze zu halten. Ich bemesse das immer so, dass ich genau mittig in der Applikation des Deckels herauskomme, aber im Grunde kann man das frei entscheiden - muss die Entscheidung nur treffen BEVOR man das Verschlussgegenstück am Taschenkorpus befestigt.

Als allerletzter Arbeitsschritt bleibt jetzt nur noch an beliebiger Position im Korpus ein Loch zu stanzen durch das man die Lederschnur von der Hornspitze durchzieht und auf der Tascheninnenseite verknotet.

... die fertige Mittelaltertasche

Und ja ich weiß, die Herstellung kann einen in den Wahnsinn treiben. Aber wie bei allem was nicht ganz einfach ist gilt auch hier: Aller Anfang ist schwer aber mit genug Durchhaltevermögen kriegt man diese Tasche hin!