Ein mittelalterliches Familienzelt

Die ganze Geschichte fing eigentlich damit an, dass der Benny mich und meine Familie zum Lagern eingeladen hatte. Wir hatten natürlich ein Zelt. Es passen vier Personen rein mit einem ordentlichen Vorzelt und aus modernen Outdoormaterialien gefertigt. Das Blau ist auch sehr schön. Halt, Stopp... Mittelalter? Irgendetwas passt hier nicht. Richtig! Das Zelt ist blau und im MIttelalter gab es noch kein Polyester!

Es musste eine Abdeckung her. So saßen Katha und ich dann da und überlegten, wie das gemacht werden könnte. Eine Abdeckung aus Leinenstoff klingt doch schon mal nicht schlecht. Das versteckt aber leider noch nicht die Form des Kuppelzeltes. Also ein Holzgerüst um das Zelt bauen und die Form ebenfalls verstecken. Kann man machen, sorgt aber für ein immens großes Zelt mit diversen Problemen was die Statik, den Transport und das Material betrifft.

Waren unsere Ansprüche zu hoch? Quatsch. Natürlich nicht. Die Lösung war doch relativ simpel. Das innere Zelt muss raus, um das äußere Zelt kleiner zu machen. Also flog unser Plastikzelt ganz aus der Planung und wir setzten uns an die Planung eines anderen Zeltes. Da das innere Zelt ja nun weggefallen ist, haben wir wieder viele Möglichkeiten für die Ausgestaltung.

So wurden Google-Suchen durchgeführt, Pinterest-Bilder gesammelt und diverse Bücher durchgeblättert. Es  entstand im Laufe mehrerer Wochen ein Zeltentwurf ausgehend von einem A-Zelt, wie es häufiger auf Mittelalterfesten zu sehen ist. Dieses Zelt musste jedoch einige Anforderungen erfüllen:

  • Es muss Platz für vier Personen und Gepäck bieten
  • Es muss Regen-, Sturm- und Insektensicher sein
  • Es muss optisch ins Mittelalter passen
  • Es soll keine Schrauben oder Nägel enthalten
  • Es muss zerlegt und zusammengebaut werden können
  • Es muss in den Opel Meriva passen, wenn bereits vier Personen drinsitzen

Klingt nach einer ziemlichen Herausforderung, oder? Das erste Problem war aber, dass weder Katha noch ich gut mit der Nähmaschine umgehen können. Wer Näht das Zelt? Eine Schneiderei? Wie sollen wir denen erklären was wir wollen, wenn wir es selber noch nicht wissen?

Die Lösung des Problems ist so trivial wie auch genial. Was ist für eine Sippe das wichtigste? Na klar, die Familie! Meine Mutter ist gelernte Schneiderin. Auch wenn Sie bereits seit Jahrzenten nicht mehr in diesem Beruf gearbeitet hat, so verlernt man ein Handwerk doch nie wirklich. Und natürlich brauchten wir nicht lange bitten, bis sie mit dabei war.

Doch bevor es zum Nähen kommen konnte, musste erst einmal das Grundgerüst zusammengestellt werden. So bauten wir mit Hilfe von Pappstreifen ein Modell zusammen.

Anhand des Modells probierten wir verschiedene Sachen aus und diskutierten die Verbindungselemente, die Seilführung und die Stabilität. So ermittelten wir, dass eine Leiste maximal 2,2 m lang sein durfte, da sie ansonsten nicht in das Auto gepasst hätte. Um verschiedene Bodenniveaus auszugleichen legten wir die Bodenleisten nicht direkt auf den Boden sondern „bockten“ sie auf. Das sorgte zusätzlich für weitere Anknüpfungspunkte, die wir später noch sehr gut gebrauchen konnten. Ob es wirklich stabil sein würde ließ sich leider nicht durch ein Pappmodell klären.

Nachdem wir die Konstruktion zusammengestellt hatten und das „Schnittmuster“ mit Hilfe von Pappe im Maßstab nachgebildet wurde, musste das ganze natürlich in Form gebracht werden. Doch wie schafft man es ein Zelt zu konstruieren ohne dass die Kosten explodieren? Nun, die Kosten setzen sich immer aus zwei Faktoren zusammen, den Materialkosten und den Verarbeitungskosten.

So begab sich meine Mutter auf die Suche nach dem Stoff und durchtingelte diverse Stoffläden und Stoffmärkte nach brauchbarem Stoff. Auf einem Stoffmarkt wurde sie dann fündig und brachte uns eine Stoffprobe mit. Der Stoff zeigte alle benötigten Eigenschaften. Er war Blickdicht, ziemlich Regensicher, fest, weiß und komplett aus Leinen. So wurde dann Kontakt mit dem Stofflieferanten aufgenommen mit der Anforderung, dass wir rund 50 m Stoff benötigen. Es folgte ein äußerst seriös wirkendes Treffen in einer Garage bei dem uns der Stoff für 180 € angeboten wurde. Der Stoff war allerdings auf einem Ballen mit noch zusätzlichen 30 m drauf. Es wurde viel gehandelt und gefeilscht. Am Ende war unser Lieferant dann so genervt, dass er uns die kompletten 80m Stoff für 150,- € verkaufte, weil er einfach keine Lust hatte die 50 m abzurollen und zusammenzulegen. Das ist doch mal ein Preis oder?

Für das Holz musste ich in einen Baumarkt. Also bin ich los und habe die verschiedensten Baumärkte (Holz Possling, Bauhaus, Obi, Hornbach, B1) abgeklappert und nach der günstigsten Möglichkeit gesucht das Bauprojekt zu realisieren. Fündig geworden bin ich am Ende bei Hornbach. Und zwar haben mich hier die dreiseitig gehobelten Schalungsbretter in 3m Länge für 0,79 €/m angelächelt. Dreiseitig gehobelt und ohne abgefaste Kanten? Egal! Ich habe eine Oberfräse und Schleifpapier dazu.

So bin ich dann ein paar Tage später mit zwanzig Schalbrettern aus dem Laden und hatte mein Baumaterial.

Ich fing an zu sägen, zu raspeln, zu feilen und zu schleifen um die Komponenten so in Form zu bringen, dass sie zusammenpassten, ohne dass man dafür Nägel oder schrauben benutzen musste. Bei der ganzen Aktion ist mir mehr als einmal was abgebrochen. Egal. Die Zwangsbruchstellen wurden identifiziert und mit Dübeln und Kleber gefixt.

Nachtagelangem Herumprobieren und ettlichem wüsten Fluchen konnten wir endlich "Richtfest" feiern.

Jetzt konnte meine Mutter mit der Anpassung des Stoffes beginnen. Und glaubt mal ja nicht, dass das einfacher gewesen wäre.

Wie oft Nähte aufgetrennt werden mussten um bestimmte Ergebnisse zu erzielen haben wir schon gar nicht mehr gezählt. Auch die Kilometer an Nähgarn die draufgegangen sind haben wir nicht gezählt. Es waren aber definitiv Kilometer.

So standen wir Wochenende für Wochenende da und diskutierten über Optik, Technik, Stabilität und jede Menge Kleinigkeiten, die so anfielen.

Die langen Bahnen für die Schlafkabinen waren noch der einfache Part. Dann ging es um das einnähen eines Dreiecks für die Enden der Schlafkabinen, die Türen, und entsprechende Verbindungen. Der Mittelteil hat uns aufgrund seiner Konstruktion am meisten Nerven gekostet. Doch auch das umnähen der verschiedensten Kanten und die Verbindungsstellen an den Ecken waren eine Herausforderung.

Wir wollten nach außen hin, dass die Stoffbahnen mit Hilfe von Bändern bzw. Schleifen gehalten wurden. Doch wir waren uns nicht sicher, ob diese Bänder dem Gewicht des Stoffes bei Regen oder einem ordentlichen Windstoß standhalten können. Keiner will nachts vom Zelt begraben werden, wenn es regnet. Also beschlossen wir zu schummeln und die einzelnen Stoffteile mit Klettband an den Holzleisten zu befestigen. Das sollte für die notwendige Stabilität sorgen und die Bänder sollten dann durch ihre Art der Bindung das Klettband verstecken. Spoiler Alarm: Funktioniert nicht! Wir haben es trotzdem so gemacht.

Wo wir gerade beim Thema Regen sind. Ab und zu kommt es vor, dass in der freien Natur Wasser von oben kommt. Doch nicht nur das. Die Natur ist so fies und gemein, dass die Feuchtigkeit auch aus dem Boden kommen kann oder per Nebel unter dem Zelt durchkriecht. Nun wollen wir natürlich keine nassen Füße bekommen, wenn wir uns aus unseren nicht ganz so mittelalterlichen Schlafsäcken pellen. Um das Problem zu lösen haben wir uns aus einer 2x3m Abdeckplane (der grünen aus dem Baumarkt) eine Regenwanne gebaut. Diese Wanne wird an den Bodenleisten (Oberkante ca. 10cm über Boden) mit einem Seil befestigt. Damit konnte das Wasser dann nicht mehr ins Zelt eindringen. Dadurch, dass die Regenwanne an den Bodenleisten befestigt wird und die Türen für die Innenzelte nach innen fällt, war das etwas knifflig. Hier hatten wir im vorderen Bereich also keine Möglichkeit die Wanne festzumachen ohne dass man sie sieht. So musste man jeden Abend dafür sorgen, dass die Türen wirklich außerhalb der Wanne zwischen Holzkonstruktion und Wanne hängen. Was passiert, wenn man es nicht macht, durfte ich in meinem zwei Wochen Härtetest bei Regen und Gewitter erfahren. Hier hatte ich die Türen versehentlich in die Regenwanne gehängt. Prompt habe ich am nächsten morgen in einer Badewanne mit Wasser geschlafen.

Ziel des ganzen ist es natürlich, dass das Zelt ein mittelalterliches Gefühl vermittelt. Um das zu erreichen habe ich insgesamt 8 Raben aus Holz ausgesägt, welche ich als „Zaunkönige“ direkt oben auf die Zeltstangen aufstecken konnte. Ist zwar nur eine Kleinigkeit, aber sorgt neben den Zelten für ein Gesprächsthema.

Die Stabilität des Zeltes ist eine Wissenschaft für sich. Wir arbeiten mit Schalbrettern, die teilweise länger sind als 2m, 19 cm breit und 1,8 cm dick sind. Von diesen kann man für die Statik nicht besonders viel erwarten. Um hier eine stabile Konstruktion hinzubekommen haben wir uns verschiedene Gedanken gemacht. Das Ganze fängt damit an, dass wir die Gesamtkonstruktion auf Füße aufbocken. Das hat nicht nur den Vorteil, dass wir die Regenwannen ideal einbinden können, sondern dass wir auch in der Lage sind Bodenunebenheiten besser auszugleichen. Als zweiten Schritt wurden die Leisten so zugesägt, dass sie zusammengesteckt werden können. Das Stecksystem ist komplett darauf ausgelegt, die Kraft optimal auf die Füße zu verteilen. Wenn man die Holzkonstruktion einfach so hinstellt, ist es noch relativ wacklig. Gerade die Auswirkung von Seitenkräften hat mir ein bisschen Kopfzerbrechen bereitet. Doch spätestens, wenn man das Seil einzieht, welches vom Mittelteil durch die Seitenteile Quer über die Seite des Zeltes gezogen werden und an der hinteren Bodenleiste festgemacht werden, steht das Zelt wie einbetoniert. Es erstaunt mich selbst heute noch, was so ein Seil und die richtige Konfiguration in der Lage ist zu leisten. Um das Tuch auf Spannung ziehen zu können, wurden am unteren Ende der Zeltbahnen Ösen mit eingebaut. Diese kann man nun direkt per Zelthering im Boden verankern. Ohne Abspannseile und mit 20 Zeltheringen lässt sich das Zelt auf Spannung bringen. Diese Abspannung sorgt auch dafür, dass das Regenwasser besser nach außen hin ablaufen kann.

Das Zelt steht mehrere Tage im Freien. Das Holz ist vollkommen unbehandelt und selbst das anhauchen der Holzkonstruktion sorgt für eine ungehemmte Aufnahme der Feuchtigkeit. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Also muss die Holzkonstruktion wetterfest gemacht werden. Hier haben wir auf eine nicht ganz so mittelalterliche Holzlasur mit jeder Menge chemischer Bestandteile zurückgegriffen. Die erste Lasur des Holzes sah echt grauenvoll aus. Ich dachte schon, dass ich mir das ganze jetzt endgültig kaputt gemacht habe. Nach der zweiten sah das ganze schon wesentlich besser aus. Manche stellen brauchten aber noch einen dritten Durchgang für ein schönes Ergebnis. Die Lasur hat aber dafür gesorgt, dass die Holzkonstruktion an manchen Stellen einfach nicht mehr passte, weil die Lasur die Dicke des Holzes verändert hat. So wurde also wieder gefeilt, geschliffen und nachgestrichen. Es dauerte eine Weile, bis das ganze System dann endlich einsatzfähig war.

Eine unserer Überlegungen war es auch, wie wir uns vor Insekten schützen. Wir hatten noch auf dem Dachboden eine alte Gardine, die als Gazeersatz durchaus herhalten konnte. So setzte ich mich hin (ja ich!) und nähte die Gardine mehr schlecht als Recht zusammen umso eine an drei Seiten geschlossene Konstruktion zu erhalten. Diese Konstruktion war inspiriert von den Insektenschutzkonstruktionen, die man oben an der Decke befestigt und mit einem großen Ring am oberen Ende versehen sind, damit der Stoff auf alle Seiten fallen kann. Wir wollten die Konstruktion dann mit Bändern an der Dachleiste befestigen. Bis heute wurde diese Konstruktion nicht einmal eingesetzt. Die Zelte halten auch so schon sehr gut zumindest die Insekten und Fliegen fern.

Wenn das Zelt länger im Regen steht, passiert es, dass die Zeltbahn zwar nass wird, es aber nicht durchregnet. Der Stoff transportiert den Regen nach unten und dort kann er über die Kanten abtropfen. Solange wie man die Zeltbahn nicht anfasst, passiert auch nicht viel und man sitzt ziemlich trocken. Jetzt lässt es sich aber gerade nachts nicht vermeiden, dass der Schlafsack mal gegen die Zeltwand kommt und wirklich klitschnass wird. Das ist durchaus ein Problem. Hier haben wir uns überlegt von innen noch eine weiße Plastikplane einzuziehen, die die innere Stoffbahn von den Bewohnern trennt. Da diese Plastikplane durchaus Nachteile hat, soll diese so geplant und gebaut sein, dass man sie bei Bedarf einhängen kann. Das ist so noch nicht umgesetzt, wird aber definitiv eine der nächsten Aufgaben sein.

Das Zelt zu Bauen ist schon eine unglaubliche Herausforderung. Auch wenn der Materialwert bei nur 300-400 € liegt, so ist es doch nicht zu unterschätzen, wieviel Arbeitszeit hier drinsteckt. Wir haben uns mal den Spaß gemacht und ganz grob überschlagen, was unser Mittelalterzelt gekostet hat, wenn wir auch nur den Mindestlohn für die Arbeitszeit ansetzen. Wir sind auf über 5000,- € gekommen.

So verwundert auch die Aussage meiner Mutter nicht „Das nächste Zelt muss jemand anders nähen.“