Alkohol im Mittelalter

Jeder, der schon ein paar Mittelalterromane gelesen hat, hat sich vermutlich auch gefragt: „warum saufen die alle?“

Tatsächlich ist es nicht nur bei Romanfiguren aus dieser Zeit so, dass sie hauptsächlich alkoholische Getränke zu sich nahmen. Auch in grundseriösen, geschichtswissenschaftlichen, Quellen stolpert man regelmäßig darüber, dass sogar Kindern Bier gereicht wurde.

Bevor ich zu dem „Warum“ komme, sollten wir uns an dieser Stelle bewusst machen, dass hier in erster Linie von sogenanntem Dünnbier die Rede ist, dass bezüglich seines Alkoholgehalts nicht mit heutigem Bier verglichen werden kann. Der Alkoholgehalt eines Dünnbiers lag nämlich in der Regel unter 2% - dies ist nicht einmal die Hälfte heute üblicher Pilsener Biere, bzw. nichtmal ein Drittel des Alkoholgehalts dunkler Artgenossen.

Also ja, die Menschen in Mitteleuropa standen früher ständig unter Alkoholeinfluss, sie waren aber keineswegs ständig sturzbetrunken!

Aber warum war das denn nun so? Warum haben sie nicht einfach Kaffee, Tee, Kakao, Milch, Fruchtsaft oder Wasser getrunken?

Die Antwort ist: weil sie es entweder nicht hatten, oder es sich nicht leisten konnten!

Kaffee und Kakao:

Diese Getränke kamen erst mit Beginn der Neuzeit also ab ca. 1500 nach Europa. Außerdem braucht man für die Zubereitung dieser Getränke Wasser, dazu aber später mehr.

Tee:

Tatsächlich waren bereits Tees bekannt und wurden zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt, jedoch war auch Tee kein Alltagsgetränk, denn die Zubereitung ist ja erstmal aufwändig und auch für Tee wird zunächst einmal Wasser benötigt.

Fruchtsaft:

Für ein Glas Apfelsaft muss man, je nach Sorte, 4 bis 5 ganze Äpfel auspressen. Man produziert 1kg Kompost für 200ml. Getränk und verschwendet dabei wertvolle Kalorien, Ballaststoffe und Vitamine. Das Mittelalter war vieles, aber sicher keine Überflussgesellschaft! Fruchtsäfte sind strenggenommen eine irrwitzige Verschwendung von Ressourcen, die im Mittelalter einfach nicht in Frage kam. Hinzukommt, dass frisch gepresste Fruchtsäfte, die nicht chemisch, oder thermisch konserviert und dann unter Sauerstoffausschluss verpackt werden, sehr schnell verderben und dabei auch alles andere als gesünder werden.

Milch:

Tatsächlich wurde, besonders im Kindesalter, auch Milch getrunken. Aber auch hier gilt: Milch war teuer, denn die uns heute bekannten Hochleistungsmilchviehrassen, die bis zu 50l Milch pro Tag produzieren, gab es im Mittelalter noch nicht. Bedenkt man nun, dass der Großteil der Milch damals benötigt wurde um die Kälber durchzubringen, blieb entsprechend weniger für Menschen übrig und war dem zur Folge sehr kostbar. Außerdem bestand auch hier das Problem der Konservierung, denn man hatte neben mangelnder Konservierungsmöglichkeiten ja auch noch keine Kühlschränke. Wenn also mal Milch in nennenswerter Menge übrigblieb, war es sinnvoller diese zu Käse zu verarbeiten.

Wasser:

Im Mittelalter gab es keine Kanalisation, keine Klärwerke und auch keine Wasserfilter.

Der Unrat der Menschen landete einfach auf der Straße und sickerte ins Grundwasser und die Gerbereien und anderen Wirtschaftsbetriebe leiteten ihre giftigen Abwässer völlig unbehandelt in die Flüsse.

Die Folge davon war praktisch ungenießbares Wasser, zumindest im Umkreis der Ballungsgebiete. Zugleich lässt sich aber auch Wasser schlecht lagern. Es beginnt bereits nach wenigen Tagen zu faulen, vor allem wenn es in alten, meist keimtechnisch vorbelasteten Holzfässern gelagert wird und ein sicherer Sauerstoffabschluss nicht möglich ist.

Alkohol war damals die einzig bekannte Möglichkeit Wasser haltbar zu machen.

Um hier nun einem massiven Missverständnis vorzubeugen: Wasser haltbar zu machen, bedeutet nicht Wasser zu reinigen! Man konnte also nicht aus dreckigem Flusswasser ein Bier brauen und sich dann einbilden, man könnte dieses Flussbier nun gefahrlos trinken. Aber man konnte einer sauberen Quelle Wasser entnehmen, es in ein Dünnbier verwandeln, dann in die Städte transportieren und dort noch Monate lang aufheben. Selbst der geringe Alkoholgehalt des Dünnbiers reichte aus, um zu verhindern, dass sich Fäulnisbakterien und andere krankmachende Mikroorganismen ansiedelten.

Natürlich waren die exakten chemischen und biologischen Prozesse den Menschen im Mittelalter noch gar nicht bekannt. Heute wissen wir, dass bereits vor 6000 Jahren in Ägypten Bier getrunken wurde. Vermutlich hat dort jemand quasi aus Versehen, ein Bier gebraut und dann vergessen die „ungewollte Brühe“ wegzuschütten, um geraume Zeit später festzustellen, dass das Zeug noch immer genießbar war.